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»Kontrolliert wurde nach dem Motto ›Mohammed sieht aus wie Ali‹«

Junge Frankfurter*innen berichten über Racial Profiling und ihre Erfahrungen mit den Polizeikontrollen am Wochenende

Von Ayesha Khan

Eine Gruppe Polizisten mit Mundschutz steht in einer beleuchteten Straße
Auf der Suche nach Party: Polizist*innen am Samstag, den 25. Juli, in Frankfurt am Main. Foto: Ayesha Khan

Seit dem Kontaktverbot wegen der Covid-19 Pandemie ist das Angebot an Freizeitbeschäftigungen, besonders abends, rar. In vielen Städten haben sich daher in den letzten Wochen Gruppen junger Menschen zum Feiern an öffentlichen Plätzen zusammengefunden. Zuerst beklagten sich die Städte nur über zugemüllte Plätze nach den Wochenenden. Doch nachdem es in Stuttgart und am Frankfurter Opernplatz zu Ausschreitungen kam, haben beide Städte an den Wochenenden sowohl die Polizeipräsenz in den Innenstädten erhöht als auch neue Bestimmungen und Regelungen beschlossen: So gilt seit Ende Juli, zunächst bis 6. September, in Frankfurt ab 0 Uhr ein sogenanntes Betretungsverbot für den Opernplatz. Ab 23 Uhr ertönt die »Allgemeinverfügung« aus den Lautsprecherwagen, Lichtmasten des Technischen Hilfswerks sind aufgestellt, grelles Scheinwerferlicht erleuchtet den Platz.

Knapp 2.000 Personen hat die Polizei am vergangenen Wochenende kontrolliert und 375 Platzverweise ausgesprochen. 23 Personen sollen vorübergehend festgenommen worden sein. Darüber hinaus sollen 21 andere Verstöße festgestellt worden sein.

Am Freitagabend sind auf dem Platz schon Aktivist*innen zu beobachten, die sich bei Polizeikontrollen dazu stellen, die Betroffenen über ihre Rechte aufklären oder sich als Zeug*innen anbieten. Später gehen der Oberbürgermeister der Stadt, Peter Feldmann (SPD), der Sicherheitsdezernent Markus Frank und der Polizeipräsident Gerhard Bereswill über den Platz. Es sind viele Kamerateams da. Kurz vor dem Betretungsverbot kommt es zu Diskussionen zwischen den Politiker*innen und Aktivist*innen. Ob Feldmann wüsste, dass keine 50 Meter weiter junge Männer Racial Profling erfahren würden. Das sei verboten, entgegnet Feldmann, weiteres würde er gern bei einem Kaffee klären, nicht hier, nicht um diese Uhrzeit.

»Polizei (auf)räumen«

Ein Bündnis antirassistischer Gruppen aus Frankfurt, wie die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) Frankfurt, Migrantifa Hessen, BeHeard Ffm, Black Power Frankfurt und anderen, hatte kurz zuvor noch eine Stellungnahme zu den sogenannten Ausschreitungen und der Pressekonferenz des Frankfurter Polizeipräsidenten, mit der Forderung »Polizei (auf)räumen, nicht aber unsere Plätze!« veröffentlicht. Darin heißt es: »Sobald ein Polizeipräsident rassistische und verallgemeinernde Feindbilder heraufbeschwört, ist es nebensächlich, ob man die gewählte Form des Widerstands unterstützt oder nicht. Wir positionieren uns klar gegen die Rhetorik der Polizei Frankfurt und die Umdeutung von legitimer Wut und Unzufriedenheit.« Die Pressekonferenz und die Äußerungen des Polizeipräsidenten Gerhard Bereswill und des Sicherheitsdezernenten Markus Frank seien nur ein Versuch der Diskursverschiebung, um von strukturellen Problemen in der Polizei abzulenken. Sie würden dazu beitragen, dass BIPoC, von Rassismus betroffene Menschen, weiter stigmatisiert und kriminalisiert werden. Bereswill und Frank hatten immer wieder betont, dass es sich bei den »Randalierern« vom Wochenende um Menschen mit »Migrationshintergrund« handeln würde.

Das gleiche Bild bietet sich am Samstag, als Hunderte Menschen zu einer Spontandemonstration am Hauptbahnhof zusammentreffen, um gegen Racial Profling und rechte Netzwerke bei der Polizei zu demonstrieren. Es ist fast Mitternacht, und es kommt zum Wortgefecht zwischen den Demonstriant*innen und dem Oberbürgermeister. Er beteuert, dass Frankfurt eine bunte, internationale Stadt sei und setzt zum »Black-Lives-Matter«-Sprechchor an – doch die Demonstrierenden machen nicht mit. Sie sind wütend. Sie werden in dieser Nacht noch zwei Stunden durch die Stadt ziehen. Von der Hauptwache zur Konstablerwache, immer dorthin, von wo Berichte über Polizeikontrollen und Racial Profling eintreffen. Sie fordern: Racial Profling abschaffen. Öffentliche Plätze für alle freigeben. Das Betretungsverbot aufheben.

Randale, Krawalle, Partyszene

Ob auf Twitter und Instagram oder im Feuilleton: In den letzten Wochen prägten Schlagworte wie »Randale«, »Krawalle« und »Partyszene« die öffentliche Debatte. Anstatt sich zu fragen, was die Pandemiesituation mit Jugendlichen macht, die zwar Sommerferien haben, aber keine Plätze und Orte, wo sie sich frei bewegen können, werden sie stigmatisiert und kriminalisiert. In den wenigsten Berichten findet sich der Begriff »Racial Profiling«, obwohl immer mehr junge Menschen darauf aufmerksam machen, dass die Polizei sich an den besagten Wochenenden nicht deeskalierend verhalten habe. Eine politische Einordnung und Analyse bleibt oft aus.

Während die FAZ mit Artikel wie »Walla, bin ich hier bei ›Wetten dass‹ oder was?« rassistische Narrative füttert und das Bild von bedrohlichen, nicht-integrierten Jugendlichen mit Migrationshintergrund malt, schaffen es die Stimmen von Betroffenen eher selten in die Zeitungen. Hier sprechen junge Frankfurter*innen über ihre Erfahrungen am Opernplatz und in der Stadt. Wie haben sie die Situation an den Wochenenden erlebt? Wie geht es ihnen heute damit?

Nasi, 19:

Diese extreme Polizeipräsenz in der Stadt soll einen ja beschützen, aber ich fühle mich nicht beschützt. Mir macht das alles Angst. Man konnte sehr gut erkennen, dass an dem Abend rund um den Opernplatz Racial Profiling betrieben wurden. Die Polizei hatte Bilder dabei, und sie hat wahllos Menschen kontrolliert, sie abgetastet oder in ihre Hosen geschaut. Mehr Polizei sorgt nicht für Sicherheit für uns, sondern nur für weiße und privilegierte Menschen. Wir haben mehrere Kontrollen beobachtet. Immer waren es migrantische junge Männer. Kontrolliert wurde nach dem Motto »Mohammed sieht aus wie Ali«.

Mahmud, 30:

Ich lebe seit 30 Jahren hier, aber anscheinend passe ich nicht in das Bild eines »echten Frankfurters«, denn das, was hier in der Innenstadt schon seit Längerem passiert, ist eine Art Einlasskontrolle für Plätze und Orte, an denen nur bestimmte Leute sein dürfen. Meine Cousins und ich, wir passen hier nicht her. Immer müssen wir uns ausweisen, uns kontrollieren und schikanieren lassen. In den Zeitungen stand ja, dass sehr wenig los war, aber wenn schon an der Hauptwache Jugendliche kontrolliert werden und Platzverweise kassieren, ist das auch kein Wunder. Umso besser, dass am Samstagabend auch eine Demo gegen Racial Profiling und NSU 2.0 auf dem Platz war. Stellt euch mal vor, da »beschützen« Menschen den Opernplatz, die vielleicht als NSU 2.0 Morddrohungen schreiben. Darüber sollte in der Stadt mehr geredet werden.

Mira, 22:

Für mich wirkte die Polizeipräsenz sehr bedrohlich und nicht beschützend. Wieso muss ein öffentlicher Ort überhaupt vor Bürger*innen geschützt werden? Die Polizei setzt ganz klar nicht auf Deeskalation, sondern schürt vor allem emotionale Reaktionen und Angst mit ihrem Auftreten. Man musste nur wenige Meter laufen, um Racial Profiling zu beobachten. Es wurden willkürlich Platzverweise erteilt und jungen Menschen wurde privates Eigentum konfisziert. Die Jugendlichen wussten zum Teil nicht einmal wieso. Wer kennt denn schon seine Rechte?

Aus dem Nichts kamen zehn Polizisten auf uns zu. Wir mussten uns an ein Schaufenster stellen, Arme und Beine auseinander. Ein Polizist meinte, wir waren zu laut.

Burak

Ayla, 32:

Ich wohne seit einigen Jahren in Frankfurt und komme aus einer größeren Stadt. Ich hatte immer gehört, dass Frankfurt eine sehr »internationale« Stadt sei. Doch mir sind schon früh die rassistischen Kontrollen am Bahnhof und im Bahnhofsviertel aufgefallen. Wie Marginalisierte aus dem öffentlichen Raum weggedrängt werden. Alles soll steril, sauber und vor allem sehr weiß und bürgerlich sein. Gerade den Opernplatz nehme ich als einen sehr bürgerlichen Platz wahr – für die Reichen und Schönen von Frankfurt. Da ist kein Platz für Kids aus Arbeiterfamilien. Und deshalb wird jetzt auch mehr oder weniger selektiert, wer drauf darf. Diese Entwicklungen sind mehr als besorgniserregend.

Dami, 25:

Ich habe nur negative Erfahrungen mit der Polizei und Polizeigewalt gemacht. Wenn die Polizei im öffentlichen Raum so präsent ist, empfinde ich Unsicherheit. Aber wir mussten ja trotzdem raus während Corona. Wir haben uns auch am Opernplatz getroffen. Ich kann nur sagen, dass es eine rassistische Argumentation ist, dass nur nicht-weiße Menschen für die Stimmung auf dem Opernplatz verantwortlich seien. Das stimmt einfach nicht. Wenn Alkohol im Spiel ist, werden alle laut und ausgelassener. Und trotzdem wurden wir, meine Freunde und ich, als einzige von der Polizei kontrolliert. Das macht wütend, vor allem wenn man sein ganzes Leben hier verbracht hat und trotzdem immer als Fremder gilt.

Burak, 16:

Wir waren jetzt am Samstag mit Kollegen an der Hauptwache zum essen verabredet. Aus dem Nichts kamen mehr als zehn Polizisten auf uns zu, und wir mussten uns an die Fensterscheibe eines Ladens stellen. Arme und Beine auseinander. Ein Polizist meinte, wir waren zu laut. Aber das kann nicht sein, weil da waren hunderte Menschen, und alle waren so laut. Aber wir sind die mit den Gucci-Sachen und so. Alles wird abgetastet. Ich hab extra gesagt, dass ich nur 16 bin, musste aber voll lange da stehen. Die anderen noch länger. Einem Freund, der vom Training kam, wurden Sachen aus der Boxtasche weggenommen. Ich habe auch Videos auf Instagram gesehen, wo vier Polizisten auf einem Jungen saßen. Hier in Frankfurt. Sie sagen, es ist nicht wie in Amerika, aber es ist auch nicht besser.

Ayesha Khan

ist Social-Media-Redakteurin, Journalistin und freie Autorin.