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|ak 661 | Deutschland

Kein einmaliges Ereignis

Rassistische Gewalt ist alltäglich und grundlegend – unser Kampf muss es auch sein

Von Kofi Shakur

Demonstrierende Menschenmenge mit mehren Pappschildern, Aufschrift auf einem: "I'd like to speak to the manager of Racism"
Am 6. Juni demonstrierten deutschlandweit mindestens 200.000 Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt, hier auf dem Berliner Alexanderplatz. Foto: Kofi Shakur

Die Größe der Demonstrationen, die am ersten Juni-Wochenende unter dem Motto Black Lives Matter in etlichen deutschen Städten stattfanden, hat viele überrascht und einige Erwartungen übertroffen – gerade, wenn man bedenkt, wie wenig Aufmerksamkeit ähnlichen Demonstrationen in der Vergangenheit zuteil wurde. Diesmal ist es anders: Neben Massenprotesten in den gesamten USA gehen auch in vielen anderen Ländern Zehntausende auf die Straßen.

Der Mord an George Floyd war dafür der Auslöser – und zugleich eine Form der Gewalt, die in dieser Gesellschaft alltäglich ist. Vor diesem Hintergrund war es befremdlich, als nach ersten Protesten in Deutschland ein Aufruf für den 6. Juni verbreitet wurde, der sich von »gewalttätigen« Protesten in den USA abgrenzte und zu stillem Protest aufforderte. Der Aufruf wurde in den sozialen Medien kritisiert und schließlich verändert. In Berlin bildete überdies eine Gruppe von jungen Schwarzen Aktivist*innen und Aktivist*innen of Color auf dieser Demonstration einen linken Block und ließ dort antirassistische, feministische und antikapitalistische Positionen laut werden – bezogen auch auf Deutschland. Diese Verbindung hat vielerorts noch gefehlt.

Die Kampagne Death in Custody hat auch für Deutschland viele Todesfälle in Gewahrsamssituationen dokumentiert – die Täter*innen kommen straffrei davon. Razzien in Shishabars, Abschiebungen und Zwangsräumungen sowie tägliche rassistische Polizeikontrollen verschwinden nicht dadurch, dass Linkspartei oder Grüne an der Regierung sind, wie man in Berlin und Thüringen sieht.

Um dem Ruf »Black Lives Matter« gerecht zu werden, müssen wir daher den Fokus von den USA lösen und überlegen, wie wir unsere Kämpfe, die eine lange Geschichte in Deutschland haben, besser führen können. Das Ausmaß der Gewalt zu begreifen, bedeutet auch, dass die Proteste umfassender werden müssen: Nicht nur rassistische Polizeigewalt, sondern jede Polizeigewalt, nicht nur die Polizei, sondern der ganze Staat ist einer Kritik zu unterziehen. Die Desinvestition des Polizeiapparates oder gar seine Abschaffung stehen den Interessen der Kapitalist*innen am Schutz ihres Eigentums und ihrer Profite direkt entgegen. Erst wenn ihr Eigentum aufgehoben wird, verschwindet also auch die Grundlage der Polizei.

Rassistische Unterdrückung lässt sich nicht dadurch überwinden, dass weiße Menschen einfach zuhören und lernen.

Inmitten der Welle an Solidarität gibt es selbstverständlich auch Bilder und Aussagen, die nicht sonderlich progressiv sind. Keine Bewegung ist frei von den Fehlern der Gesellschaft, gegen deren Unterdrückung sie kämpft. Das Bewusstsein dafür, dass Protest kein einmaliges Ereignis ist, ist dennoch vorhanden. Allerdings überwiegt die Betonung der individuellen Ebene von Verantwortung. Doch rassistische Unterdrückung lässt sich, polemisch ausgedrückt, nicht dadurch überwinden, dass weiße Menschen einfach zuhören und lernen. Das wäre zu einfach für sie und würde der Komplexität der Sache nicht gerecht.

Wir brauchen ein Verhältnis, in dem wir solidarisch auf Augenhöhe miteinander diskutieren und uns auch für falsche Positionen kritisieren können. Schwarze Menschen, PoC, Migrant*innen, Ausländer*innen, Geflüchtete, Frauen, LGBTIQ, welche Selbstbezeichnung auch im Vordergrund steht: Die Selbstorganisation von Unterdrückten ist zentral, allein schon, um das politische (Selbst-)Bewusstsein zu entwickeln, das durch Ignoranz oder Bevormundung innerhalb der Gesellschaft oft verwehrt bleibt. Das Ziel kann jedoch nur sein, dass wir uns gemeinsam und auf internationalistischer Grundlage organisieren.

Die Polizei hat am 6. Juni besonders in Hamburg und Berlin gezeigt, dass sie auf das Selbstbewusstsein migrantischer Jugendlicher, sich nicht mehr auf unmenschliche Weise behandeln zu lassen, unmenschlich reagiert: Mit brachialer Gewalt wurden nach dem friedlichen Protest vor allem Schwarze und migrantische Jugendliche zusammengeschlagen, festgenommen, eingeschüchtert. Die Vorwürfe sind genau so lächerlich wie die Beteuerungen seitens Polizei und Politik, dass die deutsche Polizei kein Problem mit Rassismus habe.

Wir kämpfen nicht dafür, dass so etwas passiert und dann möglicherweise bestraft wird, sondern für eine Gesellschaft, in der so etwas nicht passieren kann.

Kofi Shakur

arbeitet im Fachbereich afrikanische Geschichte der Humboldt-Universität und schreibt seine Masterarbeit über Globalgeschichte und die Revolution auf Zanzibar 1964. Nebenbei beschäftigt er sich mit Black Studies und kritischer Museumsforschung.