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|ak 656 | Wirtschaft & Soziales |Reihe: FAQ. Noch Fragen?

Iran-Sanktionen und ihre Folgen

Von Jakob Reimann

Seit der Islamischen Revolution von 1979 wird der Iran – mit nur wenigen Jahren Ausnahme – mit mehr oder weniger heftigen Wirtschaftssanktionen belegt. Die US-Marionette Schah Reza Pahlavi wurde damals von den Mullahs um Ajatollah Khomeini, die die breite iranische Volksrevolution kaperten, hinweggefegt: Das Land mit den drittgrößten Öl- und den zweitgrößten Erdgasreserven der Welt wurde vom engen Verbündeten zum Aussätzigen der Staatengemeinde (zumindest durch die westliche Brille betrachtet).

Doch die enormen iranischen Energiereserven kurz beiseite: Welchen Zweck verfolgen die jahrzehntelangen Sanktionen überhaupt? Seit Langem ist der Iran im Grunde der einzige Staat von Mauretanien im Westen bis an die Grenzen Chinas (der MENA-Region, Middle East and North Africa), der sich nicht so Recht dem in Washington konstruierten Weltwirtschaftssystem und seinen US-dominierten Institutionen wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds unterwerfen mag. Und so waren erdrückende Wirtschaftssanktionen stets ein effektives Mittel, um die widerspenstige Theokratie der Mullahs, wenn schon nicht in dieses US-dominierte System zu inkorporieren, doch wenigstens unten und maximal isoliert zu halten.

Seit Langem steht offiziell im Kern der Sanktionen der Vorwurf vonseiten des Westens, Teheran würde sein ziviles Atomprogramm missbrauchen, um an der Atombombe zu bauen. Die letzten verschärften Sanktionen der Prä-Trump-Ära verhängte US-Präsident Obama ab 2010: Die iranische Ölproduktion und Ölexporte brachen um fast die Hälfte ein, der neugewählte, als moderat geltende Präsident Hassan Rouhani setzte sich schließlich an den Verhandlungstisch. Das Ergebnis war der Iran-Nukleardeal (JCPOA), unter dem der Iran sein ziviles Atomprogramm massiv herunterfuhr. Im Gegenzug sollten die meisten Sanktionen fallen.

Ein historischer Meilenstein, der als Wegweiser für die friedliche, nicht-militärische Konfliktlösung im 21. Jahrhundert dienen sollte: mehr Diplomatie wagen.

Donald Trump stieg im Mai 2018 unilateral aus dem Deal aus, setzte alle Sanktionen gegen den Iran wieder ein und verhängte neben diversen anderen eskalierenden Maßnahmen neue, historisch einmalige Sanktionen; Stichwort: »maximum pressure«. Auch Trump gibt zumindest vor, einen neuen, umfassenderen Deal anstreben zu wollen. Doch dieses Vorhaben ist zum Scheitern verurteilt, versperrte Trump doch in seiner Amtszeit – im Gegensatz zu Obama – für Teheran jeden Weg zurück an den Verhandlungstisch. Nach Jahren der tagtäglichen Twitter-Hasstiraden und Demütigungen würde die Rouhani-Regierung ein unterwürfiges Einlenken in Trumps Pöbeleien innenpolitisch nicht überleben.

Über die Jahrzehnte etablierte die iranische Wirtschaft beachtliche Resilienzmechanismen, um die Folgen der Sanktionen abzumildern (»resistance economy«). Doch im Zuge der historischen Trump-Sanktionen – und der Forderung an sämtliche Länder, ihre Ölimporte aus dem Iran auf Zero herunterzufahren – brachen die iranischen Ölexporte um fasst 90 Prozent ein. Öl- und Gasexporte machen jedoch den mit Abstand größten Posten im iranischen Staatshaushalt aus. 2019 schrumpfte die iranische Wirtschaft dann um über neun Prozent, der iranische Rial verlor in den letzten zwei Jahren gut zwei Drittel an Wert, Inflationsraten von je über 30 Prozent wurden gemessen.

Die massiven Einschnitte haben Auswirkungen auf so ziemlich jeden ökonomischen Aspekt im Iran – und damit auf die soziale und humanitäre Lage. Benzinpreise stiegen um die Hälfte, Nahrungsmittelpreise um knapp zwei Drittel, Kosten für lebensnotwendige Medikamente schossen in die Höhe genau wie jene für medizinische Behandlungen. Die zaghaften europäischen Bemühungen, wenigstens die Einfuhr humanitärer Güter aufrechtzuerhalten, sind kläglich gescheitert. Die »umfassenden Sanktionen der Trump-Regierung«, schreibt Human Rights Watch in seinem jüngsten Bericht, hatten »negative Auswirkungen auf die humanitäre Not und das Recht auf Gesundheit von Millionen von Iranern.«

»Die Sanktionen sind im Wesentlichen derart konzipiert, dass sie der breiten Öffentlichkeit schaden, insbesondere schutzbedürftige Personen wie Frauen, Kinder, ältere Menschen und Patienten«, so das vernichtende Urteil des iranischen UN-Botschafters. Euphorisiert über die Aussicht auf wirtschaftlichen Aufschwung und die Besserung ihrer Lebensverhältnisse stand die iranische Bevölkerung nahezu geeint hinter dem Iran-Deal von 2015 – anno 2020 werden die Menschen im Iran im Trumpschen Machtpoker zwischen den Fronten zerrieben.

Jakob Reimann

schreibt in verschiedenen linken Medien über Kriege und Konflikte in Westasien und Nordafrika und die gesellschaftlichen Kämpfe in der Region. Zusammen mit Jules El-Khatib ist er Co-Chefredakteur des linken Online-Portals Die Freiheitsliebe.