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Ihre Freiheit und unsere

Bei der Lockdown-Kritik finden sich Linke an der Seite von Liberalen wieder

Von Lene Kempe

Inschrift Grundgesetz-Artikel am Jakob-Kaiser-Haus Berlin
Es steckt viel Gutes drin, im Grundgesetz. Das finden auch Liberale. Grund genug für Linke, die eigenen Ideen wieder stärker in Stellungen zu bringen. Foto: Michael Rose / Wikimedia, CC BY-SA 3.0

Zu Beginn der Corona-Pandemie gab es Hoffnung: Die Krise könnte das Ende des Neoliberalismus beschleunigen, eine bedarfsorientierte Produktionsweise sich teilweise durchsetzen, Pflegeberufe könnten endlich mehr Anerkennung erfahren. Dann Ernüchterung: Mitnichten hat das Coronavirus dem neoliberalen Kapitalismus geschadet. Unternehmen kehren zu ihren alten Produktionsmodellen zurück, milliardenschwere Konzerne haben Millionenhilfen kassiert, Pfleger*innen schuften in Zwölf-Stunden-Schichten. Und obendrein hat eine gefährliche Mischung aus Reichsbürgern, rechten Verschwörungstheoretiker*innen, Marktliberalen, Esos und Impfgegner*innen die mediale Aufmerksamkeit auf sich gelenkt.

Und die Linke? Nach dem Shutdown fanden sich viele in einem Dilemma: Einerseits waren die Quarantäne-Maßnahmen für etliche Menschen eine soziale und ökonomische Katastrophe. Existenzängste, Depressionen, der Anstieg häuslicher Gewalt, geflüchtete und obdachlose Menschen, die sich vor dem Virus nicht schützen konnten – die Blindstellen der staatlichen Krisenbearbeitung sind unübersehbar. Zugleich gab es einen breiten Konsens, dass die Quarantäne- und Abstandsregeln einen notwendigen Schutz darstellen für ältere und (chronisch) kranke Menschen sowie für diejenigen, die beengt in kleinen Wohnungen oder Unterkünften leben.

Vor dem Virus sind nicht alle gleich. Für die allermeisten war es daher eine Frage der Solidarität, die eigene Freiheit einzuschränken. Weitgehend auf der Strecke blieb, was in dieser Situation ebenfalls wichtig gewesen wäre: eine laute, diskursive und praktische linke Intervention in die gesellschaftliche Debatte.

Natürlich gab es viele gute Ansätze: Stadtteile haben sich via Telegram vernetzt, es wurden Hotlines für Menschen mit Hilfebedarf eingerichtet, Pfleger*innen bei ihren Kämpfen um bessere Arbeitsbedingungen unterstützt und Unterkünfte für Obdachlose und Geflüchtete organisiert. Diese Aktionen wirkten allerdings kaum über den linken Kontext hinaus.

Dabei hat der wirtschaftsliberale Freiheitsbegriff mit einem linken Freiheitsverständnis ebenso wenig zu tun wie linke Staatskritik mit dem marktliberalen Wunsch nach einem Nachtwächterstaat.

Manche Linke begaben sich derweil in eine diskursive Allianz mit den »Lockdown-Gegnern«. (Nicht zu verwechseln mit den sogenannten »Querfront«-Demos, wo Linke kaum zu finden sind.) Die Kritik am autoritären Charakter des staatlichen Krisenmanagements und Forderungen nach Lockerungen der Maßnahmen wurden jedenfalls auch in Teilen der Linken lauter. Damit fanden sich diese in Gesellschaft von Neoliberalen, die eine »Exitstrategie« von Beginn an vorantrieben. Linke wie wirtschaftsliberale Lockdown-Kritiker*innen nahmen dabei häufig Bezug auf Grundrechte. Beide Seiten beriefen sich damit auf denselben Freiheitsbegriff und auf dieselben bürgerlichen Rechte, die der Staat unzulässig einschränke.

Dabei hat der wirtschaftsliberale Freiheitsbegriff mit einem linken Freiheitsverständnis ebenso wenig zu tun wie linke Staatskritik mit dem marktliberalen Wunsch nach einem Nachtwächterstaat, der nur noch die Bedingungen des freien Kapitalverkehrs garantiert. Linker Staatskritik geht es immer um eine grundlegende Herrschaftskritik und darum, die Unterwerfung unter das Kapitalverhältnis aufzuheben. Solange Freiheit nicht auch Freiheit von ökonomischen Sorgen bedeutet, ist es eben nur die bürgerliche Freiheit, die der doppelt freien Lohnarbeiter*in. Wirtschaftsakteuren geht es dagegen um die Sicherung ihrer Kapitalinteressen in eben diesem System, das der Staat erhalten soll.

Den Lockdown, gewollt oder ungewollt Seit an Seit mit wirtschaftsliberalen Akteuren, beenden zu wollen um der (bürgerlichen) Freiheit willen, kann keine linke Forderung sein. Natürlich war das den meisten bewusst. Und es verdammte weite Teile der Linken entsprechend zu relativer Handlungsunfähigkeit. Ein Dilemma. Nun kommen sie, die ersten Lockerungen. Im Eiltempo vorangetrieben von der deutschen Wirtschaft. Skepsis ist also geboten. Trotzdem: Eine linke Intervention in die gesellschaftliche Debatte, die Gesundheitsschutz vor Profitinteressen setzt und den Abbau von Freiheitsrechten kritisiert, scheint wichtiger denn je.

Lene Kempe

ist Redakteurin bei ak.