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|ak 655 | Deutschland

Ganz schön viel Futur 2

Über Polizeigewalt in Hamburg und »potenzielle Gefährder« im neuen Hamburger Polizeigesetz

Von Annalena Grimm und Kaija Simon

Nur zwei Prozent der angezeigten Fälle von Polizeigewalt landen vor Gericht. Foto: Vanis / Wikipedia, CC BY 2.5

Die Polizei hat angefangen mit unnötigen Beleidigungen wie ›Scheiß linke Zecken‹, dann hat ein Polizist meiner Freundin den Arm gebrochen, woraufhin ich nach seiner Dienstnummer gefragt habe. Er meinte, sie hätte es verdient und andere Polizisten haben ihn abgeschirmt, damit man seine Dienstnummer nicht sehen konnte. Ich habe gesehen wie Leute aus unerklärlichen Gründen verprügelt wurden«, erzählt uns der 17-jährige Max (Name geändert). Doch dies ist leider kein Einzelfall in Deutschland. Pro Jahr gibt es rund 2.000 Anzeigen gegen Polizist*innen, von denen jedoch schließlich nur zwei Prozent zu einer Anklage kommen. Dazu kommt, dass laut einem Forschungsprojekt zu illegaler Polizeigewalt der Ruhr-Universität Bochum mindestens weitere 10.000 mutmaßliche Gewaltdelikte durch Polizist*innen gar nicht erst zur Anzeige gebracht werden und somit im Dunkelfeld liegen.

Hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus?

Wie das in einem Rechtsstaat wie Deutschland möglich ist, erklärt uns der Polizeiwissenschaftler Professor Dr. Rafael Behr: Die Ermittlungsverfahren gegen Polizist*innen werden von ihren Kolleg*innen geführt, wie beispielsweise in Hamburg vom Dezernat für interne Ermittlungen (D.I.E.). Die Beamt*innen tragen zwar keine Uniform und sind auch außerhalb des Polizeigebäudes untergebracht, jedoch sind es Polizist*innen, die teilweise gegen Kolleg*innen ermitteln müssen, die sie noch aus ihrer Ausbildung kennen. Kann hier noch von Unabhängigkeit die Rede sein, wie Dirk Arenz, der Leiter der Abteilung für Amtsdelinquenz des D.I.E.s, in unserem Interview mehrfach beteuert hat? Nein, finden Amnesty International Deutschland und Sprecher*innen der Partei Die Linke, und fordern deshalb die Einführung einer von der Polizei vollständig unabhängigen Ermittlungskommission, wie es sie bereits in Ländern wie Großbritannien, Dänemark und Portugal gibt. Christiane Schneider von der Hamburger Bürgerschaftsfraktion der Linkspartei erklärt uns, dass kein Weg daran vorbeiführe, wenn man wieder Gerechtigkeit und ein ausgewogenes Verhältnis herstellen wolle. Max und seine Freundin haben keine Anzeige gestellt. Sie fürchteten eine Gegenanzeige wegen »Widerstands« zu erhalten, die quasi standardmäßig an alle ergehen, die Polizist*innen anzeigen. Dies stellt ein weiteres großes Problem im derzeitigen System dar: Aufgrund der Sorge vor Gegenanzeigen oder wegen geringer Erfolgsaussichten, werden die meisten mutmaßlichen Gewaltdelikte gar nicht zur Anzeige gebracht. Doch selbst wenn die Betroffenen von Polizeigewalt Anzeigen stellen, werden die meisten Verfahren eingestellt. »Den Polizisten wird öfter geglaubt und auch die Staatsanwaltschaft neigt dazu die Verfahren einzustellen, weil sie ihr Verhältnis zu der Polizei nicht stören wollen«, erklärt uns Christiane Schneider. Auch der Gruppendruck innerhalb der Polizei, auch Korpsgeist genannt, beeinflusst die Aufklärung von Straftaten zunehmend. Meldet ein Polizeibeamter unverhältnismäßiges Verhalten eines Kollegen, muss er mit sozialem Ausschluss und Mobbing rechnen. »Eine externe Kontrollstation könnte der Bevölkerung helfen, aber auch den Polizeibeamten selbst«, findet Rafael Behr. Sören Schuhmacher von der SPD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft findet eine externe Kontroll­in­stanz nicht zielführend. Laut ihm genüge das vorhandene System, da es »sich nur um eine extrem kleine Minderheit« handele, die Gewalt ausübe. Er erläuterte uns weiter, dass die Gegenanzeigen aus gutem Grund gestellt würden und die Polizei nicht rechtswidrig handele. Dabei kommt es immer wieder zu rechtswidrigem Verhalten der Polizei.

Rassismus aus dem Gesetzbuch

Der wohl bekannteste Fall von unaufgeklärter Polizeigewalt ist der von Oury Jalloh. Der Mann aus Sierra Leone kam vor über 14 Jahren durch einen Brand in einer Zelle der Polizeiwache in Dessau zu Tode. Und obwohl es Indizien gibt, dass er angezündet wurde, wird es keinen neuen Prozess geben. Spielt also auch Rassismus eine Rolle bei der Polizei? »Ich denke es gibt rassistische Züge in Teilen der Polizei, welche man besser bekämpfen muss und welche nicht gut verarbeitet werden«, erklärt Christiane Schneider. Trotz alledem soll in Hamburg ein neues Gesetz verabschiedet werden, das der Polizei noch mehr Rechte geben soll. Beispielsweise sollen potenziellen Gefährdern elektronische Fußfesseln angelegt werden dürfen. Wer oder was eigentlich Gefährder sind, bleibt dabei unklar. Denn potenzielle Gefährder müssen keine Straftat begangen haben. Es genügt, dass man sie unter den Verdacht stellt, dass sie irgendwann unter Umständen eine Straftat begehen könnten. Ganz schön viel Futur 2. Und trotzdem sollen massenhaft Daten von Bürger*innen mit Algorithmen ausgewertet werden, um potenzielle Gefährder zu erkennen. Auch der Begriff »Rasse«, der in dem rot-grünen Gesetzesentwurf als »Besondere Kategorie personenbezogener Daten« verwendet wurde, lässt tief blicken. In der Antwort auf eine schriftliche kleine Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Christiane Schneider, wie denn »rassisch« zu verstehen sei, antwortete der Senat: Der Begriff der »rassischen Herkunft« bezöge sich »auf bestimmte Eigenschaften, die tatsächlich oder vermeintlich vererbbar sind. Hierzu gehören etwa die Augenfarbe und -form, Haartyp oder Hautfarbe.« Unvorstellbar, dass 2019 etwas in Gesetzestexte gegossen wird, was zur Verfolgung, Versklavung und Ermordung von Abermillionen von Menschen geführt hat. Das wird umso deutlicher in der kürzlich von Wissenschaftler*innen veröffentlichten »Jenaer Erklärung«. Darin wird festgestellt: »Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung.« Wenn schon in Gesetzestexten auf wissenschaftlich unhaltbare Begriffe wie »Rasse« unkritisch Bezug genommen wird, wundert es kaum, dass »racial profiling«, also polizeiliche Kontrollen aufgrund von Haar- oder Hautfarbe, in Hamburg Alltag sind. Ein Beispiel für »racial profiling« ist der Fall Yaya Jabbie. Er wurde am 14. Januar 2016 am Hamburger Berg von der Polizei kontrolliert und festgenommen. Ihm wurde vorgeworfen, dass er im Besitz von 1,65 Gramm Cannabis gewesen sein soll. Vier Tage später wurde er in das Gefängnis Hahnöfersand gebracht. In der Nacht vom 18. auf den 19. Februar 2016 starb Yaya Jabbie dort in seiner Zelle. Angeblich war es Selbstmord. Wir fragen uns: Wäre Yaya Jabbie auch kontrolliert worden, wenn die Polizei nicht aufgrund rassistischer Ressentiments kontrolliert hätte? Und: Werden sich die bestehenden Probleme und Einschränkungen der Grundrechte von Menschen mit dem neuen Polizeigesetz noch weiter verschärfen? Auch darüber haben wir mit Sören Schuhmacher von der SPD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft gesprochen: Er sieht das Polizeigesetz als präventiven Schutz der Bürger*innen an. Durch die neuen Polizeigesetze aber können prinzipiell alle Bürger*innen verdächtig gemacht werden. Insbesondere diejenigen, die nicht als weiß gelesen werden. Schützt das neue Polizeigesetz die Bürger*innen, oder müssen nicht vielmehr die Bürger*innen vor dem neuen Polizeigesetz geschützt werden?