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|ak 658 | Lesen |Rezensionen: aufgeblättert

Was Traumatisierung bedeutet

Aufgeblättert: Maria Kjos Fonns »Kinderwhore«

Von Stephanie Bremerich

Wenn Männer etwas von dir wollen …, dann lass ihnen ihren Willen. Wenn nicht, wird es nur noch schlimmer. Leg dich einfach hin.« Charlotte wächst allein mit ihrer Mutter auf, die ihrer Tochter keine Ratschläge fürs Leben, dafür aber ein Faible für den »Kinderwhore«-Style und die Musik von Courtney Love vermittelt, deren Songfragmente den Roman leitmotivisch durchziehen. Außerdem lernt Charlotte von ihrer Mutter, dass man Schmerz mit Pillen dämpfen kann.

Seit sie von einem ihrer »vielen Väter« vergewaltigt wird, nimmt Charlotte regelmäßig Tabletten. Da ist sie zwölf Jahre alt. Vernachlässigung, Missbrauch, Drogen, Dissoziation – »Kinderwhore« führt die Zurichtung eines jungen Mädchens distanzlos vor Augen. Der Roman umfasst eine Spanne von gut acht Jahren und erschöpft sich weder in einer schulmeisterlichen Katalogisierung der Kaputtheit, noch bietet er eine ungebrochene Betroffenheitslektüre an. Vermittelt wird die Geschichte von einem Ich, das lernt, sich in eine »Puppe« und eine »Maschine« aufzuspalten, das sich schminkt, »bis ich aussehe wie ein Tatort«, das sich »ausschalten« und »es geschehen« lassen kann, das sich nur noch als »die Summe meiner Körperteile« empfindet.

Im Verlauf der Lektüre erzählt sich dieses Ich Stück für Stück wieder zusammen, mal bildgewaltig, mal lakonisch, mal mit ätzender Ironie. »Kinderwhore« gibt einen Eindruck davon, was Traumatisierung bedeutet: »Es ist nicht möglich, sich daran zu erinnern, denn es scheint immer gerade jetzt zu passieren.«

Maria Kjos Fonn: Kinderwhore. Übersetzt von Gabriele Haefs. CulturBooks, Hamburg 2019. 256 Seiten, 20 EUR.