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Das Ende des Optimismus

Franco »Bifo« Berardis Buch über die Seele bei der Arbeit zeichnet ein düsteres Bild der Gegenwart und bricht mit der eigenen theoretischen Tradition

Von Jens Kastner

Depressive Zeitdiagnose: Franco »Bifo« Berardis neues Buch weist keine Spur mehr des postoperaistischen Optimismus eines Toni Negris auf. Foto: MACBA/Wikimedia CC BY-SA 2.0

Als wir Mitte der 1990er Jahre das erste Mal einen Text von Antonio Negri lasen, hielten wir ihn für Satire. So euphorisch diskutierte der postoperaistische Theoretiker aus Italien die Subjektwerdung unter neoliberalen Bedingungen, dass wir davon ausgehen mussten, er machte sich einen Spaß mit uns. Geschult an den subjekttheoretischen Annahmen der Kritischen Theorie, konnten wir den Optimismus nicht nachvollziehen: Anstatt dass Entfremdung und Verdinglichung analysiert wurden, feierte Negri die Entwicklung der Produktivkräfte. Anlass waren ihm die französischen Streikbewegungen von 1995. Er interpretierte sie als Kampf gegen die Arbeit. Nicht als Reaktion auf die kapitalistische Globalisierung, sondern als deren treibende Kraft. Das Kapital reagiert bloß, die Kämpfe sind immer zuerst da. Das in dieser Annahme liegende Potenzial für soziale Bewegungen erkannten wir spätestens, als Negri um das Jahr 2000 herum, inmitten der globalisierungskritischen Mobilisierungen, gemeinsam mit Michael Hardt den breit diskutierten Bestseller »Empire« landete.

Aber mit dem Optimismus scheint es nun vorbei zu sein. Franco »Bifo« Berardi, Medientheoretiker, Philosoph und einer der Weggefährten von Negri, legt in seinem neuen Buch eine ernüchternde, um nicht zu sagen depressive Zeitdiagnose vor. »Es gibt keinerlei Möglichkeit eines politischen Widerstands gegen die absolute Herrschaft des Semiokapitalismus«, schreibt Berardi in »Die Seele bei der Arbeit«. Der Kapitalismus der Gegenwart herrsche nicht in erster Linie über die Gewalt des Staates und durch ökonomische Ausbeutung. Vielmehr beruhe seine Herrschaft auf der Durchdringung des kollektiven Unbewussten. Semiokapitalismus nennt Berardi diese Ökonomie, abgeleitet vom altgriechischen semeion, dem Zeichen. Im Zentrum der Produktion stehen nämlich nicht mehr industriell gefertigte Güter, sondern Informationen. Die Arbeit wird zur immateriellen, zur kognitiven Arbeit. Berardi leugnet damit nicht die Existenz der Schwerindustrie und dass nach wie vor Millionen von Körpern durch Arbeit geschunden werden. Modell und vorherrschender Imperativ aber sei die Arbeit als Austausch von Informationen, als Kommunikation.

Das Modell, das Berardi verabschiedet sieht, war vor allem auf den männlichen Industrie- und Büroarbeiter der Moderne zugeschnitten.

Dem Industriekapitalismus war die Seele egal, in ihm ging es um die Ausbeutung der Körper. Was die Arbeiter*innen machten, nachdem die Fabriktore schlossen, war dem Kapital gleichgültig. Hauptsache, sie kamen am nächsten Tag wieder. Im Semiokapitalismus hingegen »wird die Seele selbst zur Arbeit gezwungen«. Der neoliberale Kapitalismus will die gesamte Lebenszeit: jede Freizeitaktivität, jeden Wunsch, jede kreative Schöpfung. Jeder Aspekt der Sinnlichkeit habe sich einem einzigen Kriterium zu unterwerfen: »dem des ökonomischen Wettbewerbs und der Rentabilität«.

Für widerständige Praxis ist da wenig Raum. Der Operaismus der frühen 1960er Jahre, benannt nach dem italienischen Wort für Arbeiter (operaio), ging in seiner Erneuerung marxistischer Theorie noch davon aus, dass Widerstand gerade da entsteht, wo das menschliche Tun der Herrschaft der Arbeit entkommt. Die Operaist*innen verschoben daher den Fokus vom Kampf um die Arbeit – bessere Bedingungen, mehr Lohn etc. – auf einem Kampf gegen die Arbeit. Aber das sei nun kaum mehr möglich, legt Berardi nahe, weil die Arbeit eben kein Außen, kein Begehren jenseits ihrer selbst mehr übrig lässt.

Feministische Debatten werden ausgespart

Auch wenn Berardi die Effekte des technologischen Fortschritts, der informationsbasierten Ökonomie und deren Beschleunigung über weite Strecken sicherlich plausibel analysiert, so lassen sich doch auch Einwände gegen seine Endzeitvision vorbringen. Es ist zum einen gar nicht so neu, dass die kommunikativen Fähigkeiten, die Wünsche und Begehren Teil der Wertschöpfung sind. Denn das Modell, das Berardi jetzt verabschiedet sieht, war schließlich vor allem auf den männlichen Industrie- und Büroarbeiter der Moderne zugeschnitten. Für Frauen und andere in die Care- und Reproduktionsarbeit involvierte Menschen war Arbeit immer schon auch eine, die sowohl Körper als auch Seele einbezog und abnutzte. Berardi reflektiert das nicht und geht, obwohl er eine Vielzahl linker Theorieansätze diskutiert, auf feministische Debatten mit keinem Wort ein. Im Feminismus aber finden sich viele Überlegungen dazu, wie auch aus der Einbindung aller affektiven menschlichen Potenziale in die Arbeit heraus noch solidarische Praktiken entwickelt werden können.

Darüber hinaus basiert noch der von Berardi diagnostizierte »Niedergang der alltäglichen Solidarität«, der mit dem auf individuellen Konsum ausgerichteten Kapitalismus einhergehe, letztlich auf einer etwas verklärten Vorstellung des Arbeiterviertels, in dem alle für alle da sind. Ganz abgesehen davon, dass dieses Bild rassistisches Ressentiment und Sexismus aus der proletarischen Kumpelhaftigkeit völlig ausklammert: Solidarische Praxis ist auf den Kiez, das Grätzl oder Barrio gar nicht angewiesen. Anders gesagt: Solidarität braucht keine Gemeinschaft. Sie kann sich auch gegenüber den völlig Fremden und Anderen entwickeln. Und das geschieht ja auch, sonst gäbe es weder Seenotrettung noch lokal agierende FoodCoops noch Hilfsorganisationen wie Medico International.

Dass ein Wertschöpfungs- und Wohlstandsmodell, das auf der Anhäufung von Geld, Kredit und Macht beruht, dem Entstehen von Solidarität nicht zuträglich ist, steht wohl außer Frage. Aber trotzdem ist nicht einzusehen, warum Zusammenleben prinzipiell nicht auch kooperativer gedacht und gelebt werden können sollte. Dass sich also ein Verständnis von Wohlstand entwickelt und verbreitet, wie Berardi es sich eigentlich wünscht. Eines nämlich, das Wohlstand statt über die veräußerte Zeit für ökonomischen Reichtum über die Zeit für Freundschaft, Sorge und Freude definiert.

Jens Kastner

ist Soziologe und Kunsthistoriker. Er lebt als freier Autor und Dozent in Wien.