analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 657 | Kultur

Babylon Berlin. So arm und soooo sexy

Serienrezension

Von Nelli Tügel

Proletarisches Leben 1929: Charly Richter mit Drink. Foto: Frédéric Batier / X Filme

Charlotte »Charly« Richter ist jung, gesund, wunderschön, immer adrett gekleidet und gut frisiert. Sie ist überdies witzig, lebensklug und schlagfertig, Berliner Göre halt, aber auch gebildet. Fast immer weiß sie, was zu tun ist. Und das alles, obwohl sie aus bitterarmen proletarischen Verhältnissen stammt, mit großer und kleiner Schwester, Nichten und Neffen, einem ekelhaften und übergriffigen Schwager, Mutter sowie Opa in einer winzigen, dreckigen Mietskaserne lebt, natürlich Hinterhaus. Dass sie quasi 24 Stunden am Tag einer Lohnarbeit nachgeht – tagsüber als Schreibkraft im Polizeipräsidium, nachts als Sexarbeiterin in einem Club – macht nichts, sie ist trotzdem meist fit, stellt in Kriminalfällen noch clevere Nachforschungen auf eigene Faust an, geht zudem oft feiern und pflegt ein erfülltes Liebesleben. Klingt unrealistisch? Ja. Ist aber die weibliche Hauptfigur der als »Sittengemälde« der 1920er Jahre gefeierten Serie »Babylon Berlin«. In deren kürzlich angelaufener dritter Staffel geht es ähnlich abwegig weiter: Nun lebt Charly mit der kleinen Schwester in einer Bruchbude, die die beiden sich mit einem Tagschläfer teilen. Beim Betten machen singen und tanzen sie fröhlich – wer kennt das nicht.

Dabei ist die Charlotte Richter aus der Romanvorlage – die bislang siebenbändige Kommissar-Rath-Reihe von Volker Kutscher – eine ganz andere Frau: aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, aufgewachsen im Berliner Stadtteil Moabit, höhere Schulbildung, Jura-Studium, arbeitet für die Polizei, erst als Stenotypistin, später als Kommissaranwärterin. Eine moderne Frau, keineswegs besonders arm, die das Leben genießt, Benimmregeln beherrscht und die durch und durch demokratisch gesinnte, patriotische Preußin ist, weshalb sie die Nazis hasst und die Kommunisten ablehnt. Das muss man nicht alles sympathisch finden, aber so sind die Menschen eben – und zumindest ist diese Charly keine mit allerlei Männerfantasien überladene bettelarm-aber-sexy-Superwoman. Bemerkenswert an der Figurenadaption ist auch, dass gerade das Politische, für das sich die Roman-Charly so interessiert und von dem sie viel mehr versteht als die männliche Hauptfigur, Gereon Rath, der Serien-Charly abhanden gekommen ist.

Von Frauenfiguren, die so gar nichts mit dem Leben von Frauen zu tun haben, die einfach eine Summe sind aus allem, was Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten (gendern ist nicht nötig, da in allen drei Kategorien bei »Babylon Berlin« nur Männer am Werk waren) für »spannend« befinden, gibt es in Film, Fernsehen und Literatur nun wahrlich genug. Selten aber waren sie derart ins fast schon Lächerliche verzerrt, wurde Armut so leichtfertig (und offenbar ahnungslos) als reine Kulisse inszeniert.

Ähnlich grob wie mit der Figur der Charly geht es mit einer weiteren der wenige Frauenfiguren zu, die zumindest in der Romanvorlage durchgängig eine Rolle spielt: Greta Overbeck, Charlys beste Freundin. Selbstbewusst, wohlhabend, Doppelstaatlerin und Kosmopolitin, weltgewandt und promiskuitiv ist die Greta in den Romanen. Ein hoffnungslos naives Landei, wohnungslos und völlig verloren in der großen Stadt, von einem Kind entbunden, das sie zur Pflege gab, und in die Fänge böser Kommunisten geraten, die sich später als Nazis entpuppen, und von ihnen manipuliert zur Mörderin werdend ist die Greta in der Serie. Offenbar musste hier noch dringend der Stadt-Land-Konflikt verwurstet sowie ein bisschen Hufeisentheorie angewandt und in einen tüchtigen Plot Twist umgemünzt werden. Doch ist an dem eigentlich nichts überraschend, die Serien-Greta bewegt sich geradlinig auf die Katastrophe zu. Komplexe oder auch undurchdringliche Persönlichkeiten sind in der Serie den Männern vorbehalten, auch bei ihnen wurde, wie im Fall der Hauptfigur Gereon Rath, die Romanvorlage dafür extrem überdehnt.

So ist die ganze Serie eine Ansammlung von Klischees und Requisiten. Die Gesellschaft der 1920er Jahre wird hier ausschließlich mondän verstanden. Nein, was für großartige Kulissen und die Kleider! Alles ist aufwändigst und teuer inszeniert, aber dafür, zwei Minuten zu ergooglen, wann die 4. Internationale gegründet wurde, hat es den Serienmachern nicht gereicht, weshalb in der ersten Staffel die Trotzkist*innen der imaginären Roten Festung etwas hochleben lassen, das es erst mehr als zehn Jahre später geben sollte. Bei der irrwitzigen Darstellung des nationalliberalen Weimarer Außenministers Gustav Stresemann, der hohen französischen Staatsbesuch in Bertolt Brechts Dreigroschenoper ausführt (ausgerechnet!), muss man wiederum von Vorsatz ausgehen.

Neben dem leichtfertigen Umgang mit der Geschichte, bleiben es aber vor allem die Frauenfiguren, die die Serie so ärgerlich machen. Trotz aller verkrampfter Bemühungen, die Atmosphäre der dieser Tage oft beschworenen 1920er aufleben zu lassen, führen sie dazu, dass »Babylon Berlin« nichts weiter ist als ein Märchen. Sich an Charly und Greta aus der Romanvorlage zu orientieren, hätte indes bedeutet, das Serienspektakel weniger um Outfits und Kulissen und mehr um die Widersprüchlichkeiten des Lebens kreisen zu lassen.

Nelli Tügel

ist Redakteurin bei ak.

Die dritte Staffel von »Babylon Berlin« läuft seit dem 24. Januar auf Sky.