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Gegen den neuen Rüstungswettlauf

Die EU will »geostrategischer Akteur der obersten Kategorie« werden

Von Daniel Seiffert

Foto: Lunabonn / Wikimedia, CC BY-SA 2.5

Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde oft von einer »Friedensdividende« gesprochen. Gemeint waren die Entlastung der Staatshaushalte durch den Rückgang der Kosten für Rüstung und Militär und damit verbundene Wohlstandseffekte für die Bevölkerungen durch die frei werdenden Mittel.

Längst schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung aus. Nach den Daten des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) haben die globalen Militärausgaben bereits 2008 das Niveau von 1988 wieder überschritten. 2018 belief sich der Wert auf 1,8 Billionen Dollar. Das entspricht etwa 2,1 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts desselben Jahres und ist der höchste absolute Wert, seitdem die Zahlen von SIPRI erfasst werden.

Der globale Trend zur Aufrüstung ist Ausdruck zunehmender Verwerfungen im Weltsystem. Der Multilateralismus der 1990er und 2000er Jahre, verkörpert in Institutionen wie den G8 bzw. G20, der WTO und dem IWF, verliert an Bedeutung. Die »America First«-Strategie der Trump-Regierung beschleunigt und verstärkt diesen Prozess, in dem vertraglich geregelte Abkommen und Aushandlungsrahmen durch eine Politik des unilateralen Drucks ersetzt werden. In diesem Kontext sind auch die Ausstiege aus dem INF-Vertrag (1) mit Russland, dem Atomabkommen mit dem Iran, dem Pariser Klimaschutzabkommen und aus dem Menschenrechtsrat der UN zu sehen. Kommendes Jahr läuft zudem das START-Abkommen zwischen Russland und den USA aus. Der Strategic Arms Reduction Treaty ist ein Abrüstungsvertrag, der die Anzahl nuklearer Trägersysteme und Sprengköpfe reduzierte und begrenzt. Sollte Trump wiedergewählt werden, droht auch der nuklearen Rüstungskontrolle ein weiterer heftiger Schlag.

An der Schwelle zu autonomen Waffensystemen

Die Machteliten der EU fürchten, bei dem aggressiver werdenden geopolitischen Wettbewerb außen vor zu bleiben, und artikulieren den Willen, sich als »geostrategischen Akteur der obersten Kategorie« zu begreifen, wie der neue EU-Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, jüngst erklärte. (Der Tagesspiegel, 8.2.2020) Um zu vermeiden, dass die EU die Verliererin werde im »Wettbewerb« zwischen den USA und China, müsse sie die »Sprache der Macht neu erlernen«. Der EU-Falke Borrell ist auch Vizepräsident der Europäischen Kommission unter Ursula von der Leyen. Um die EU für diesen geopolitischen »Wettbewerb« fit zu machen, ist eine Ausweitung der militärischen Kapazitäten grundlegend.

Neben den globalen politischen Entwicklungen existiert auch ein technologischer Trend, der den neuen Rüstungswettlauf bedingt: Die nächste Generation von Waffensystemen werden autonome oder zumindest teilautonome Systeme sein. Die gleiche Technologie, die fürs autonome Fahren und für Gesichtserkennung entwickelt und teilweise bereits genutzt wird, soll auch in den autonomen Waffensystemen der nächsten Generation eingesetzt werden. Denn wenn das Ding alleine fahren, sich im Verkehr zurechtfinden und Fußgänger*innen erkennen kann, kann es auch Menschen töten. Vorausgesetzt, es wird noch eine Kanone drauf montiert. Autonome Waffensysteme werden die Art und Weise, wie Kriege und bewaffnete Konflikte geführt werden, radikal verändern.

EU-Aufrüstungsmechanismus und Widerstand

Mit der Implementierung eines Europäischen Verteidigungsfonds (EVF) und des Mechanismus der Ständig Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ), einer europäischen Beschaffungsgemeinschaft von Rüstungsgütern, sind die institutionellen Voraussetzungen für eine Aufrüstung der EU geschaffen. Die SSZ soll das Ziel erreichen, die in der EU genutzten Waffensysteme perspektivisch zu reduzieren, die produzierten Stückzahlen zu erhöhen und auf diesem Wege Forschungs- und Entwicklungskosten zu senken. Dadurch erhoffen sich Militärs und Außenpolitiker*innen erhebliche Effizienzgewinne. Zum Vergleich: Während die USA 30 verschiedene Waffensysteme unterhalten, sind es unter den europäischen NATO-Mitgliedern 178.

Die Militärs und Außenpolitiker*innen wollen für die kommende Generation der Waffensysteme jeweils ein einziges europäisches Modell. Also nicht mehr den deutschen, den französischen und den italienischen Kampfpanzer, sondern einen europäischen Kampfpanzer. Auch bei den Kampfjets hatte Frankreich mit Mirage- und Rafale-Jets immer auf einer eigenständigen Entwicklung und Produktion bestanden. Das soll nun anders werden. Darüber hinaus steht auch die Entwicklung einer EU-Kampfdrohne ganz oben auf der Prioritätenliste.

Diese Entwicklung ist mit Zentralisierungsprozessen innerhalb der Rüstungsindustrie verbunden. Das erklärte Ziel ist der Aufbau von sog. Euro-Champions, die in der Lage sind, die neuen europäischen Waffensystem zu entwickeln und in ausreichender Stückzahl zu produzieren. Rheinmetall, der größte deutsche Rüstungskonzern, will sich in diesem Umfeld durch eine Fusion mit dem deutsch-französischen Rüstungskonsortium KNDS (Krauss Maffei Wegman und Nexter Defence Systems) behaupten. Denn unter den Bedingungen der SSZ ist klar: The Euro-Champion takes it all.

Es brechen goldene Zeiten an für die Großen der globalen Rüstungsindustrie. Der Rheinmetall-Konzern träumt von einem »Super-Zyklus« auf den Rüstungsmärkten. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass der Konzern einer dieser Euro-Champions werden oder sich zumindest daran beteiligen kann. Neben dem Druck auf die politischen Institutionen, die Waffenexporte genehmigen wie durch die Besetzung des Amtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in Eschborn Anfang Februar (fr.de, 4.2.2020) geschehen, ist es auch notwendig, nach Möglichkeiten zu suchen, den Konzern direkt anzugreifen, zu stören und zu blockieren, seine Geschäftspraktiken an die Öffentlichkeit zu bringen und die Konzernverantwortlichen als das zu adressieren, was sie sind: Kriegsverbrecher und Terrorhelfer. Die nächste Möglichkeit dazu bietet sich bei der Hauptversammlung des Konzerns. Sie findet am 5. Mai in Berlin statt.

Daniel Seiffert

ist organisiert bei der Interventionistischen Linken und im Rheinmetall-Entwaffnen-Bündnis aktiv.

Anmerkung:
1) Intermediate Range Nuclear Forces Treaty: Der Vertrag zwischen Russland und den USA verbot bodengestützte nukleare Mittelstrecken-Raketen und war damit eine wesentliche Komponente der atomaren Rüstungskontrolle.