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|Thema in ak 659: Corona-Pandemie

Eine Krise nach der anderen

Der Corona-Ausbruch verschärft das Misstrauen der Bevölkerung in den iranischen Staat

Von Mina Khani

Menschen in Schutzkleidung besprühen Sitzflächen eines U-Bahnwaggons
Ende Februar: Arbeiter*innen desinfizieren die Teheraner U-Bahn gegen das Corona-Virus. Foto: Zoheir Seidanloo / Fars News Agency, CC BY 4.0

Die Corona-Krise hat viel früher »iranischen Boden« erreicht, als die Regierung im Iran es zugibt. Erst am 18. Februar, kurz nach dem 41. Jahrestag der Revolution (11. Februar) und kurz vor den Parlamentswahlen (21. Februar), bestätigte der iranische Staat über die Zeitung der Revolutionsgraden, dass Covid-19 im Iran angekommen ist. Doch schon Wochen zuvor gab es Meldungen von Infizierten, die sich durch die sozialen Netzwerke verbreiteten.

Der Iran hat sich sehr schnell als ein stark vom Corona-Virus betroffenes Land erwiesen – noch bevor die Krise zu einer globalen Pandemie wurde. Trotz der heiklen Situation in China stellte der iranische Staat den Flugverkehr nach China bis zum 4. März nicht ein. Obwohl die Regierung unter Präsident Hassan Rouhani ankündigt hatte, Flüge nach China zu streichen, flog allein Mahan Air, die größte private Fluggesellschaft im Iran, laut BBC Farsi zwischen Ende Februar und Anfang März 16 Mal nach China und zurück.

Bei vielen Menschen im Iran sorgte das für Empörung, die meisten schreiben den fortdauernden Flugverkehr der Korruption im Staat zu. Die Wut wurde noch verstärkt, als Rouhani am 25. Februar erklärte, dass sich ab 29. Februar »alles im Land wieder normalisieren« werde. Wenige Tage später musste er einräumen, dass das Virus inzwischen alle iranischen Provinzen erreicht hatte.

Auch die Äußerungen des religiösen Führers der Islamischen Republik, Ayatollah Ali Khamenei, haben für Empörung in den sozialen Netzwerken gesorgt: »Das Virus ist eine biologische Attacke auf den Iran«; »Das Virus wurde von den USA produziert«, weshalb »wir keine Hilfe aus den USA annehmen«; »Corona ist ein kleines Problem«, und es sei nicht an der Wissenschaft, die Probleme der Menschheit zu bewältigen, das sei Aufgabe der Imame, so Khamenei in unterschiedlichen Reden.

Die Fehlinformationen und teils widersprüchlichen Aussagen der iranischen Führung über den Ernst der Corona-Krise wiegen für viele Menschen umso schwerer, als das Virus das Land inmitten einer eskalierenden wirtschaftlichen und politischen Krise getroffen hat. Die Otageasnafiran, die iranische Wirtschaftskammer, rechnet damit, dass die Corona-Krise bis zu 1,6 Millionen Menschen ihre Jobs kosten könnte. Anfang April beantragte die iranische Zentralbank einen Notkredit über fünf Milliarden US-Dollar beim Internationalen Währungsfonds.

Der iranische Staat konnte noch nicht mal zu einem Zeitpunkt, als Corona noch keine globale Pandemie war, die schnelle Ausbreitung im Land verhindern, er leugnete sogar die Tatsache, dass das Virus sich schon früh im Iran ausbreitete. Erst am 24. März erklärte Dr. Masoud Mardani, Mitglied des nationalen Corona-Komitees, »dass die Corona-Epidemie sehr wahrscheinlich viel früher als gemeldet im Iran angekommen« sei.

Nach Schätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt die Zahl der Infizierten und Toten mindestens fünf Mal höher, als der iranischen Staat zugibt. Offiziellen Angaben zufolge waren Mitte April etwa 75.000 Menschen mit dem Corona-Virus infiziert, mehr als 4.500 seien an der Erkrankung gestorben. Auch wenn der Staat durch massive Einschränkung des Internets und der Pressefreiheit versucht, den Informationsfluss zu kontrollieren, steht fest: Ein großer Teil der iranischen Bevölkerung glaubt den Angaben des Staates nicht. Das Misstrauen gegenüber dem Staat wird durch die fehlende Transparenz über das Ausmaß der Corona-Krise sicher verstärkt, neu ist dieses Gefühl aber nicht.

Alte und neue Proteste im Iran

Im November 2019 hatte das Land massive Proteste gegen die Regierung erlebt. Auslöser war die Verdreifachung der Benzinpreise. Wenig später gab es Demonstrationen in mehr als 100 Städten. Der Staat schaltete daraufhin das Internet ab und schlug die Proteste brutal nieder. Als eine Woche später das Internet wieder angeschaltet wurde, zeigte sich erst das Ausmaß der Staatsgewalt. Noch heute ist unklar, wie viele Menschen in dieser Zeit ermordet oder inhaftiert wurden. Amnesty International sprach von mehr als 300 Toten, der Nachrichtenagentur Reuters zufolge sollen sogar 1.500 Menschen ihr Leben verloren haben.

Anfang Januar 2020, nur wenige Wochen nach den Aufständen, schoss die Revolutionsgarde ein Passagierflugzeug ab, wobei 176 Menschen ums Leben kamen. Auch in diesem Fall leugnete die Regierung drei Tage lang, etwas damit zu tun zu haben. Viele im Iran denken, dass sie schließlich nur deshalb zugab, das Flugzeug irrtümlich abgeschossen zu haben, weil dabei auch kanadische und europäische Bürger*innen ums Leben kamen.

Corona war im Iran somit schon vom ersten Tag eine politische und ökonomische Krise. Die von den USA erneut verschärften Sanktionen verstärken die Kriseneffekte noch. Erstaunlich ist, dass auch bei diesem Thema die Vertrauenskrise des iranischen Staates offenkundig ist. Viele Menschen, die sich in den sozialen Netzwerken zu Wort melden, denken angesichts der massiven Korruption, dass, auch wenn die Sanktionen aufgehoben würden, der Staat sie nicht davon profitieren lassen würde. Schon Anfang 2018, als das Atomabkommen noch nicht aufgekündigt war, hatte es Massenproteste gegen die staatliche Korruption gegeben. Während der harschen Sanktionen der USA in den letzten zwei Jahren hat sie weiter um sich gegriffen.

Jetzt fordert die Regierung, dass Menschen zu Hause bleiben, übernimmt aber keine Verantwortung dafür, dass das privatisierte Gesundheitssystem, die Inflation, die Verschärfung der »internationalen Konflikte«, die Privatisierung der Fabriken und das fehlende Sozialsystem Menschen dazu zwingen, ihr Zuhause zu verlassen und zu arbeiten. In einigen Krankenhäusern gab es bereits Protestaktionen des Personals wegen fehlender Schutzkleidung und der schlechten Situation der Pflege, doch bisher sind das Einzelfälle.

Noch schlimmer sieht es in den überfüllten Haftanstalten aus. Nachdem es aus mehreren Gefängnissen, etwa dem Evin-Gefängnis in Teheran, Meldungen über Corona-Infektionen bei Häftlingen und Wärtern gab, geht dort und bei den Angehörigen der 220.000 Gefangenen im Iran die Panik um. Die Gefängnisse sind überbelegt, die sanitären Anlagen oft in schlechtem Zustand. Wenn das Virus hier Fuß fasst, kann es sich in Windeseile ausbreiten.

In mindestens acht Gefängnissen kam es schon zu Demonstrationen, Aufständen und – teils erfolgreichen – Fluchtversuchen. Der Druck ist so groß, dass bis zu 100.000 Häftlinge vorübergehende Haftverschonung erhielten. Amnesty International berichtete Anfang April aber auch, iranische Sicherheitskräfte hätten scharfe Munition und Tränengas in den Haftanstalten eingesetzt. Mindestens 30 Gefangene wurden dabei ermordet.

Mina Khani

ist iranische Publizistin und linke Feministin. Sie lebt in Berlin.