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»Wir Roma wollen uns nicht mehr verstecken!«

Maya Adzovic und Njake Sejdovic über ihre Gedanken nach Hanau und darüber, was sich nun ändern muss

Interview: Madeleine Does

Der Anschlag in Hanau hat auch die Roma-Community stark verunsichert und wütend gemacht. Wütend, weil rassistische und ausgrenzende Handlungen gegen Sinti und Roma immer noch zum Alltag gehören. Wütend aber auch, weil Sinti und Roma bei den offiziellen Trauerveranstaltungen nicht sichtbar sein konnten. Im Romani Kafava, einem Begegnungsort im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, sprachen Njake Sejdovic und Maya Adzovic auch über ihre Sicht auf Hanau und rassistische Angriffe im Alltag.

Wie geht es euch nach dem Anschlag in Hanau?

Njake Sejdovic: Mir geht es schlecht – ich bin sehr traurig und mache mir große Sorgen. Als wir gehört haben, was passiert ist, war das ein Schock für uns.

Maya Adzovic: Das ist ein komisches Gefühl und ich habe Angst. Wir Roma wollen nur ein normales Leben leben und nicht ständig Angst haben müssen.

Njake Sejdovic: Mich hat sehr interessiert wer Mercedes Kierpacz war und was sie gemacht hat. Sie war unter den Opfern, eine deutsche Romni. Und sie war auch eine Aktivistin, so wie ich. Sie hat ebenfalls andere Menschen unterstützt, so wie ich. Meine Kinder haben mir nach Hanau gesagt, dass ich aufpassen soll, was ich mache. Ich denke allerdings nicht, dass ich jetzt vorsichtiger werden oder nicht mehr Aktivistin sein sollte. Wenn ich so sterben sollte wie Mercedes, dann kann ich das nicht verhindern. Sie hat ja nichts Falsches getan.

Bei den offiziellen Trauerveranstaltungen mit Politikern kam gar nicht zur Sprache, dass auch Roma unter den Opfern waren.

Maya Adzovic: Wir haben auch mehr erwartet. Wir dachten, wir werden auch dahin eingeladen. Wir wären gerne dort gewesen, um beispielsweise die Familien zu fragen, wie es ihnen geht und wie es nun weiter gehen soll. Am Ende haben wir die Trauerkundgebung nur auf dem Handy und im Fernsehen verfolgt. Die Gefühle aber, die sind da. Und wir sind es den Familien schuldig, jetzt auf die Straße zu gehen. Dabei müssen wir auch unsere bundesweite Vernetzung mobilisieren.

Ein Teil der Familie von Mercedes Kierpacz wurde vom NS-Faschismus verfolgt und ermordet, so wie auch viele andere Sinti und Roma. Es hat aber wahnsinnig lange gedauert, bis Sinti und Roma überhaupt als verfolgte Gruppe des NS anerkannt worden sind.

Njake Sejdovic: Es ist ziemlich genau 40 Jahre her, dass die ehemaligen KZ-Häftlinge Franz Wirbel, Jakob Bamberger und Hans Braun gemeinsam mit neun weiteren Sinti auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau in Bayern in einen Hungerstreik getreten sind. Sie wollten Anerkennung dafür schaffen, dass Sinti und Roma zu den verfolgten Gruppen während Nazi-Regimes gehört haben. Ich war damals selbst bei der Demo in Dachau dabei und auch in München. Und ich war hier in Hamburg im Hungerstreik. Das war vor 28 Jahren. Wir haben so einen Streik auch direkt in Neuengamme gemacht. Es ging uns auch darum dagegen zu protestieren, dass sich die rassistischen Denk- und Handlungsmuster gegen Roma und Sinti auch nach 1945 fortgesetzt haben. Wir wollen in die Zukunft gucken, aber wir wollen auch wissen, was mit unseren Verwandten passiert ist. Unsere Opas und Omas sind hier gestorben. Und heute sterben wieder Roma. Das reicht mir! Wir müssen auf die Straße gehen und unsere Gesichter zeigen.

Maya Adzovic und Njake Sejdovic

leben mit ihren Familien seit über 30 Jahren in Hamburg. Sie haben hier die rassistischen Pogrome in den 1990er Jahren erlebt und sich für eine Erinnerungs- und Gedenkkultur an die Opfer des Nationalsozialismus eingesetzt. Sie und ihre Familien waren an den Besetzungen und Hungerstreiks in den KZ Dachau/ Neuengamme beteiligt. Sie sind staatenlos und leben hier ohne festen Aufenthaltstitel, ebenso wie ihre in Deutschland geborenen Kinder. Seit drei Jahren beraten, begleiten, vernetzen sie Rom*nijas und Sinti*zze im Romani Kafava zu Fragen der Erziehung, des Asylrechts und zu gesundheitlichen Themen. Aktuell beteiligen sie sich an den Vorbereitungen für eine »Antiabschiebungsdemo« in Hamburg am 18. April 2020 (organisiert vom Network against all deportations) und laden alle Menschen ein, sich zu beteiligen.

Es hat sich ja auch asylrechtlich in den letzten 30 Jahren ganz viel verändert.

Njake Sejdovic: Für uns, die wir schon lange in Deutschland sind, ist es eigentlich besser geworden – weil wir kämpfen und es auch solidarische Menschen gibt.

Maya Adzovic: Aber für neu angekommene ist es schlechter geworden. Sie können nicht lange in Deutschland bleiben. Wenn Leute neu hierher kommen und Asyl beantragen, werden sie wenig später wieder abgeschoben. Viele von denen, die aus Deutschland abgeschoben werden, leben danach auf der Straße. Sie finden keine Arbeit. Und wenn man auf dem Balkan eine Arbeit findet, dann muss man sehr viel arbeiten für sehr kleines Geld. Deshalb brauchen wir auch Aktionen, die das Ende von Abschiebungen fordern. Und zwar nicht nur für Leute, die vom Balkan kommen, sondern mit allen zusammen, egal woher sie kommen. Wir müssen die Abschiebungen stoppen!

Nach Hanau haben viele von Rassismus betroffene Menschen darauf hingewiesen, dass Anfeindungen in Deutschland Alltag sind und vielfach auch zugenommen haben. Wie sind dahingehend eure Erfahrungen?

Njake Sejdovic: Oh ja, das erleben wir auch. Am schlimmsten war es, als ich bei der Hamburger Tafel war. Da warten viele Menschen drei, vier Stunden in einer langen Schlange. Eine Frau und ihre zwei Kinder waren hinter mir. Vor mir stand ein Mann, zwei Meter groß. Ich habe für die Frau übersetzt, dass sie eine Nummer ziehen muss. Und er sagte: »Halt deine Fresse.« Und die Frau lachte. Er war wütend und hatte ein rotes Gesicht. »Hier gibt’s nichts mehr zu lachen in Deutschland«, hat er gesagt, aber die Frau hat gar nichts verstanden und weiter gelacht. Der Mann dachte, dass sie ihn auslacht und dann hat er so viele schlimme Wörter gesagt, dass man es nicht glauben kann. Ich habe zu ihm gesagt: »Bitte rede nicht über diese Frau, sie spricht doch kein deutsch.« Und er sagte: »Was? Sie kann nicht mal deutsch und Sie können es auch nicht. Geht raus aus meinem Land. Es ist mein Land. Oder ich nehme ein Messer und schneide euch die Köpfe ab.«

Maya Adzovic: Ich mache auch solche Erfahrungen. Einmal in der U-Bahn beispielsweise. Da saß ein Mann, und meine Kinder und ich haben uns auch hingesetzt. Der Mann hat zuerst mit sich selbst geredet. Und dann hat er zu uns gesagt: »Seid ihr Zigeuner? Ihr müsst raus aus unserem Land! Man muss euch alle anzünden.« Dann bin ich aufgestanden und habe gesagt: »Halt! Ruhe! Halt deine Klappe!« Er ist dann auch aufgestanden, und die Leute in der U-Bahn waren auf seiner Seite. Sie haben gesagt, dass ich den Mann in Ruhe lassen sollte, dass er alt sei und nicht wüsste, was er sagt. Ich habe gesagt: »Er soll nicht wissen, was er sagt, aber er kann klar sagen, dass er uns alle verbrennen will? So wie damals Hitler oder was?« Ich war in dieser Situation ganz allein mit meinen Kindern. Zwar waren da mehrere Leute, aber die waren eben auf seiner Seite. Dabei bin ja nur aufgestanden und habe gesagt: »Halt!«.

Was muss aus eurer Sicht jetzt – nach Hanau – geschehen?

Njake Sejdovic: Als ich gehört habe, was in Hanau passiert ist und mich an die letzten dreißig Jahre erinnert habe, ist mir klar geworden: Wir sind noch nie so richtig auf die Straße gegangen. Viele Roma verstecken sich. Das muss jetzt aufhören. Und wir müssen auch in die Ausländerbehörden und in die Jobcenter und mit den Leuten reden. Keine Angst mehr zu haben, sondern den Mut zu haben, zu reden, das ist wichtig. Wir fordern unsere Rechte! Wir wollen, dass unsere Enkelkinder nicht mehr erleben müssen, ausgeschimpft und beleidigt zu werden. Das ist mein großer Wunsch.

Maya Adzovic: Meine Kinder, meine Enkelkinder und alle anderen Roma sollen keine Angst mehr haben müssen vor Nazis. Sie sollen sich nicht mehr verstecken müssen. Ich möchte, dass sie freie Menschen sein können, genau wie andere Menschen auch. Das ist mein Wunsch.

Madeleine Does

Madeleine Does ist aktiv in der Poliklinik Veddel und in der Interventionistischen Linken.