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Verleugnung über den Tod hinaus

Während Nazis wie auch AKP-nahe Institutionen ihre Netzwerke erweitern können, werden Kurd*innen in Deutschland kriminalisiert

Von Dîlan Karacadağ

Am 19. Februar 2020 sind neun junge Menschen in Hanau aus zutiefst rassistischen Gründen niedergeschossen wurden. Zwei der Opfer, Ferhat Unvar und Gökhan Gültekin, waren Kurden. Doch auch nach ihrem Tod wird diese Identität in Frage gestellt. Die Deutschen haben Ferhat wegen seiner deutschen Staatsbürgerschaft als Deutschen bezeichnet. Derselbe Ferhat wurde wegen der Herkunft seiner Eltern – für Kurd*innen kommen sie aus Nordkurdistan, für Türk*innen aus der Osttürkei – von türkischer Seite als Türke bezeichnet. Ferhat ist kurdischstämmiger Hanauer. Gökhan war kurdischstämmiger Hanauer, der die türkische Staatsbürgerschaft besaß. Auch er durfte nicht als Kurde sterben.

Der türkische Staat versucht seit Jahrzehnten, die Existenz der Kurd*innen und ihre Kultur auszulöschen. Dabei werden Politiker*innen verfolgt, verhaftet und gefoltert, Zwangsverwalter an Stelle gewählter Bürgermeister*innen eingesetzt. Wenn man das aus Deutschland betrachtet, klingt es »echt krass«. »Krasser« ist es allerdings, dass sich die türkische Repressionspolitik in Deutschland widerspiegelt.

Wenn es um Rassismus und Diskriminierung in der Bundesrepublik geht, können sich Kurd*innen so gut wie immer angesprochen fühlen. Sie müssen nicht nur gegen Rassismus und Nazigewalt kämpfen, sondern auch gegen die Verfolgung durch deutsche Behörden und um die Anerkennung ihrer Identität. In Deutschland leben heute weit über eine Millionen Kurd*innen. Die deutschen Behörden agieren vielfach auf Wunsch Ankaras und so werden Kurd*innen immer wieder verfolgt und kriminalisiert. 

Polizeigewalt und Symbolverbote

Von Kurd*innen friedlich geführte Demonstrationen eskalieren regelmäßig mit Polizeiübergriffen, weil einige Flaggen, Symbole und Parolen nicht erlaubt sind. Am brutalsten ging die Polizei im Februar 2019 gegen einen jungen Aktivisten vor, der bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt wurde, als der jährliche Lange Marsch die Stadt Karlsruhe erreichte. Der Grund: eine Abbildung von Abdullah Öcalan sei verboten, was ein Paradox ist, da der Lange Marsch für die Freiheit Öcalans organisiert wird. 

Die Bundesregierung erweitert jährlich Flaggen-, Demo- und Parolenverbote. Kurd*innen werden politisch verfolgt, weil die Bundesregierung in ihrer Interessenpolitik gegenüber der Türkei mit Grundrechten von in Deutschland lebenden Kurd*innen handelt. Thomas de Maizière hat sich als Bundesinnenminister mit der Kriminalisierung der kurdischen Bewegung besonders hervorgetan. So richtete er am 2. März 2017 ein Rundschreiben an die Bundesländer und Strafverfolgungsbehörden, das die Erweiterung verbotener Symbole zum Inhalt hatte.

Diese Beispiele sind im Gegensatz zum Fall von Zozan Gül noch »harmlos«. Die fünffache Mutter wurde im Januar dieses Jahres mit einem Entzug des Sorgerechts bedroht. Zozan Gül ist von Seiten des Staatsschutzes Düsseldorf vorgeworfen worden, das Kindeswohl zu gefährden, da eine der Töchter an verschiedenen Demonstrationen der kurdischen Bewegung teilgenommen hatte. Daraufhin sah die Behörde sich veranlasst, eine Meldung beim Jugendamt zu machen, offenkundig in dem Versuch, die Familie einzuschüchtern und von politischen Aktivitäten abzubringen. Obwohl das Jugendamt ausdrücklich keine Kindeswohlgefährdung feststellte, wurde ein Verfahren angestrengt.

Weg mit dem PKK-Verbot

Seit Jahren werden kurdische Aktivist*innen überdies zu Gefängnisstrafen verurteilt. Derzeit befinden sich sechs Personen in Untersuchungshaft und zwei im Gefängnis. Seit 1993 wurden mehr als 180 Gerichtsverfahren gegen mutmaßliche PKK-Aktivist*innen geführt und seit 2010 wurden mehr als 30 Personen wegen Mitgliedschaft in der PKK nach Paragraf 129b StGB zu mehreren Jahren Haft verurteilt. 

Doch die Kriminalisierung von kurdischen Bewegungen, Parteien, Flaggen, Persönlichkeiten und Aktivist*innen in Deutschland beschränkt sich nicht auf Demonstrationen und Aktivitäten. Ähnlich wie in der Türkei und Nordkurdistan (Osttürkei) hat die jahrelange Einschüchterungspolitik eine neue Dimension angenommen. Neben Dutzenden verbotene Demos, wie zuletzt der Lange Marsch am 10. Februar 2020, und Veranstaltungen wie die kulturelle Newroz-Feier, kommt hinzu, dass kurdische Verlage verboten werden. Am 9. März 2018 fand in Neuss im kurdischen Mesopotamien Verlag und der MIR Multimedia GmbH eine Razzia statt. 

Während die Existenz von Kurd*innen in Deutschland ignoriert und Errungenschaften bedroht werden, verbreitet sich das AKP-Netzwerk in Deutschland, und die Einflussnahme der türkischen Regierung auf Kurd*innen in der BRD nimmt zu. Der Verfassungsschutz, der seit Jahren Kurd*innen beobachtet, macht sich durch die geheimdienstliche Zusammenarbeit mit der türkischen MIT (Geheimdienst) zum Komplizen. Als Folge werden Kurd*innen oft zweifach ausgespäht. Die türkische Generalstaatsanwaltschaft in Ankara soll inzwischen mindestens 400 Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder kurdischer Organisationen aus Deutschland wegen »Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung« eröffnet haben. Viele Türkei-Reisen enden in letzter Zeit mit Verhaftungen; so etwa im Fall der deutschen Staatsbürgerin und kurdischen Sängerin Hozan Canê, die am 23. Juni 2018 in der Türkei festgenommen und zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde. 

Die Verfolgung kurdischer Aktivist*innen und deren Genoss*innen muss ein Ende haben. Die einfachste Lösung hierzu wäre die längst überfällige Aufhebung des PKK-Verbots. Der Kassationshof in Brüssel hat im Januar die Entscheidung des Revisionsgerichts vom März 2019 bestätigt, wonach die PKK keine »terroristische« Organisation, sondern eine Partei in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ist. Der nächste Schritt wäre, dass die Bundesregierung dies anerkennt und die Repression gegen Kurd*innen endet, die politischen Gefangenen freigelassen werden und dies dann auch Folgen in der Türkei hat, wie zum Beispiel durch ein Waffenembargo, da seit Jahren mit deutschen Waffen und Panzern gegen die Kurd*innen in Nordkurdistan und der Türkei vorgegangen wird. 

Dîlan Karacadağ

ist kurdisch-deutsche Journalistin. Seit dem Anschlag von Hanau war sie regelmäßig vor Ort, hat vielfach aus Hanau berichtet und die Hinterbliebenen und Überlebenden unterstützt.