analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|Thema in ak 657: Feminismus 2020

Wessen Feminismus?

Über Positionierung und Identitätspolitik in feministischen Räumen

Von Eleonora Roldán Mendívil und Narges Nassimi

Aufgrund der ungelösten kapitalistischen Krise seit der großen Rezession 2008 / 2009 sind in den letzten Jahren wichtige Basisbewegungen entstanden. Frauen sind in den internationalen Massenaufständen der letzten Monate als eigenständige Kraft immer sichtbarer geworden, sei es in den von Frauen angeführten Aufständen im Sudan, sei es in Ecuador und Bolivien, wo mehrheitlich indígenas auf die Straße gingen, sei es in den von Jugendlichen und jungen Erwachsenen angeführten Aufständen in Hongkong, Chile, Irak, Iran, Libanon, Palästina oder Indien. In Kurdistan kämpfen Tausende Frauen in zivilen sowie bewaffneten Einheiten gegen Islamisten und das türkische Militär. Überall, wo sich 2018/2019 Widerstand geregt hat, waren vor allem junge Frauen sichtbar an der Spitze von Demonstrationen und Kundgebungen, von öffentlichen Versammlungen, Streiks und Straßenschlachten. Etliche Frauen waren aber auch unter den Opfern der Repression. Inwiefern handelt es sich um eine Welle allgemeingültiger feministischer Kämpfe? Welche Rolle spielt der Klassenkampf von unten? Und inwiefern vereinnahmen weiße Feminist*innen Kämpfe von mehrheitlich nicht-weißen Frauen und höhlen sie damit aus? 

Das Problem der individuellen Biografie 

Es ist wichtig anzuerkennen, dass nicht alle Frauen oder alle Queers gleich sind. Das klingt erst mal banal. In unserer Erfahrung aber wird das Aussprechen dieser Banalität in mehrheitlich weißen feministischen Räumen der Linken in Deutschland oft als Angriff auf eine als gemeinsam gedachte feministische Integrität, oder schlimmer, auf eine immer noch abstrakt vorgestellte »Schwesterlichkeit« gewertet. Erst recht, wenn in diesem Zusammenhang auch Forderungen von Seiten nicht-weißer Frauen aufgestellt werden. (1) Unsere individuellen Biografien sind vielschichtig, komplex und zeigen – in verschiedenem Maße – die Brutalität eines auf Ausbeutung und Unterdrückung basierten Systems der Klassenherrschaft. 

Über Jahrzehnte war radikale sowie revolutionäre Politik in Deutschland ein weiß-männlich dominiertes Feld – trotz gegenläufiger Beteuerung. So wundert es nicht, dass Frauen beschlossen, sich als Antwort auf Machismus und Paternalismus eigenständig in separaten Räumen zu organisieren. Als dann in diesen Frauenräumen immer deutlicher wurde, dass die Deutungshoheit über Jahrzehnte bei weißen Feminist*innen – egal aus welchem konkreten linken politischen Spektrum – lag, organisierten sich linke Migrant*innen und nicht-weiße Frauen ab den 1980er Jahren in eigenen Gruppen. Sie wollten diesen Rassismus in feministischen Räumen kenntlich und bekämpfbar machen. Die letzten drei Jahrzehnte waren durchzogen von Politiken der Abspaltungen und des Rückzuges von Migrant*innen, Schwarzen Frauen, Women of Color etc. 

Imperialistischer Feminismus 

Dieser Rückzug hängt zentral damit zusammen, dass es in diesen feministischen Räumen eine vehemente Zurückweisung und Ablehnung gibt, sich mit dem hegemonialen imperialistischen Feminismus des deutschen Staates auseinanderzusetzen, der weit in die Politiken linker Räume hineinreicht. Der imperialistische Feminismus zielt darauf ab, im Namen der »Frauenbefreiung« die imperialistischen Interessen des deutschen Staates voranzubringen und zu verteidigen – etwa indem Auslandseinätze der Bundeswehr (auch) mit dem Schutz von Frauenrechten gerechtfertigt werden. Dies ist das Ergebnis einer politischen und kulturellen Umwandlung des Feminismus nach der Niederlage der sozialen Bewegungen der 1970er Jahre und der erfolgreichen Etablierung neoliberaler Hegemonie. Dieser Feminismus, der sich in feministischen Nichtregierungsorganisationen und in von den Vereinten Nationen (UN) und der Europäischen Union (EU) finanzierten »Frauenrechtsorganisationen« unter dem Radar etablierte, ist verräterisch. Verräterisch nicht nur aufgrund seiner Verbindung mit einem aggressiv-mörderischen Militarismus, sondern er dient auch als universales Phänomen der Unterdrückung, Kontrolle und Disziplinierung einer der wichtigsten sozial-wirtschaftlichen Kräfte westlich-kapitalistischer Gesellschaften: migrantische und nicht-weiße, weibliche Arbeitskraft. (2) 

»Weißer Feminismus«

Die Kritik an einem »weißen Feminismus« klingt nicht ab, sondern taucht immer wieder in feministischen Gruppen, Organisationen und auf Konferenzen auf. Meist muss sich danach dann die gesamte Bewegung mit tiefen Krisen und bestürzten weißen Frauen und Queers beschäftigen.

Um das zu erklären, sind einige grundlegende Aspekte wichtig zu verstehen: Wenn »weißer Feminismus« gesagt wird, ist meistens eigentlich ein kleinbürgerlicher oder in seinem Effekt liberaler Feminismus gemeint. Diese unsaubere Trennung – wer spricht vs. was wird gesagt – kommt daher, dass es in großer Dominanz weiße Frauen (und teilweise Queers) aus dem Kleinbürgertum sind, die am vehementesten für feministische Positionen in der Linken eintreten, dies jedoch nicht mit einem klassenkämpferischen, proletarischen Programm tun. 

Ernsthafte Diskussionen und politische Auseinandersetzungen über den Zustand des linken Feminismus bleiben bis dato jedoch aus. Diejenigen, die die – ohnehin schon sehr instabile – feministische Linke kritisieren, werden von außen klassifiziert, stigmatisiert und nach Möglichkeit isoliert. Die Antwort der nicht-weißen Feministinnen ist nicht selten mit einer ebenso essentialisierenden Stigmatisierung verbunden: Die weißen Frauen und Queers wären per se in ihrem Feminismus rassistisch und akademisch-abgehoben. Auch im akademischen Feld spiegeln sich diese Debatten wider, vor allem in Gestalt postkolonial feministischer Kritiken. (3) 

Oft jedoch führen gerade diese feministischen postkolonialen bzw. dekolonialen Diskurse und Politiken in eine politische Sackgasse: Hier werden unsere individuellen Biografien und unsere Position im gesamtgesellschaftlichen Geflecht als ausschlaggebend für eine richtige Politik betrachtet. Es kommt nicht selten zu einer Unterdrückungsolympiade, auf die dann nur noch betretendes Schweigen, Scham und Passivität folgt. Eine Politik jedoch, die jede Form von Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen angreifen und überwinden möchte, kann nicht mit den gleichen essentialisierenden Methoden arbeiten und bestimmte Körper zu »revolutionäreren« Körpern erklären als andere. Denn auf diesem Weg wird jede Klassenanalyse und jede Perspektive eines gemeinsamen Kampfes geopfert. 

»Siegen bedeutet mehr, als sich zu widersetzen« (4)

Wir denken, dass die Debatten um die Frage, welche feministischen Stimmen dominieren und welche überhaupt erst Gehör finden, sehr wichtig sind. Sie sind Teil der umkämpften Frage, wie wir am effektivsten gegen patriarchale Unterdrückung, aber auch gegen alle anderen Verhältnisse, die uns unserer Menschlichkeit berauben, vorgehen können. Im Zentrum dieser Auseinandersetzungen steht für uns die Frage der Strategie. Als Kommunistinnen sehen wir den Widerspruch zwischen gesellschaftlich produziertem Reichtum und dessen privater Aneignung als Grundlage für die verschiedenen ideologischen Formationen wie (Hetero-)sexismus, Rassismus etc. Unsere Intervention in dieser Debatte besteht darin zu fragen: Wie wollen wir das Ganze überwinden? Welche sind unsere kurzfristigen, welche unsere langfristigen Aufgaben? Können wir als nichtweiße, als geflüchtete Frauen nur durch unsere separate Organisierung zu einer revolutionären Bewegung gelangen? 

Während liberal- aber auch postkolonial-feministischen Kritiken häufig eine zeitgemäße materialistische Klassenanalyse fehlt, schlagen wir eine Diskussion um den immer anwesenden, aber nie explizit markierten Klassenstandpunkt unseres Feminismus vor. Dieser Klassenstandpunkt versteht die Arbeiterklasse – mit ihren Verbündeten aus dem Bauerntum und allen Unterdrückten – als revolutionäres Subjekt. (5) Hierzu gehört es, die Erfahrungen und Stimmen von migrantischen, nicht-weißen, geflüchteten, illegalisierten Frauen und Queers aus kolonialen und halbkolonialen Ländern nicht nur hörbar zu machen, sondern diesen in konkreten Forderungen und Kämpfen eine programmatische Ausrichtung zu geben. Damit würde allen Linken ermöglicht, gemeinsam für ein klassenbewusstes feministisches Programm zu streiten und zu kämpfen.

Wir wollen aus der Defensive der letzten Jahrzehnte herauskommen und die Frage nach erfolgversprechenden gemeinsamen Strategien in den Mittelpunkt stellen. Um mit einem Zitat Andrea D’Atri zu enden: »Unser Ziel sollte es sein, die Funktionsweise der Wirtschaft und die kollektive Verwaltung des Öffentlichen tiefgreifend zu demokratisieren. Dafür ist es wichtig, dass wir heute – in der Vorbereitungszeit – nicht nur Kämpfe begleiten, unsere Körper in Bewegung setzen und auf die Straßen gehen, sondern auch politische und ideologische Schlachten führen, damit ein Großteil der Bewegung sich diese Perspektive zu eigen macht«.

Narges Nassimi

Narges Nassimi ist Kommunistin und im Aufbau sozialistisch-feministischer Strukturen in München aktiv.

Eleonora Roldán Mendívil

ist Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Politische Bildnerin. Sie promoviert an der Universität Kassel zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und »Rasse« aus marxistischer Perspektive. Sie lebt in Berlin.

Anmerkungen:
1) Siehe hierzu auch: Ramsis Kilani, Narges Nassismi und Eleonora Roldán Mendívil: Klasse, Rasse und Geschlecht in Deutschland – Zur Kritik des liberalen Feminismus, Die Freiheitsliebe
2) Zur Diskussion, wie sich dieser rassistische Feminismus als Femonationalismus auch nach innen wendet, siehe auch: Susheela Mahendran, Sara Morais dos Santos Bruss und Eleonora Roldán Mendívil: Femonationalismus und rassistische Hetze, Klasse gegen Klasse
3) Siehe hierzu zum Beispiel auf Englisch Ain’t I a Woman (1982) von bell hooks, Third World Women and the Politics of Feminism (1991), herausgegeben von Chandra Talpade Mohanty, Ann Russo und Lurdes Torres, Remaking Women. Feminism and Modernity in the Middle East (1998), herausgegeben von Lila Abu Lughod, Feminism without Borders. Decolonizing Theory, Practicing Solidarity (2003) von Chandra Talpade Mohanty oder auch Rethinking Global Sisterhood. Western Feminism and Iran (2007) von Nima Naghibi.
4) Andrea D’Atri: Feminismus und Marxismus, in Christopher Wimmer (Hg.): »Where have all the Rebels gone?«. Perspektiven auf Klassenkampf und Gegenmacht. Unrast Verlag, Münster 2020, S. 244-260.
5) Siehe hierzu folgende Diskussionen: Women, Resistance and Revolution (1972) von Sheila Rowbotham, Rosa Luxemburg, Women’s Liberation and Marx’s Philosophy (1981) von Raya Dunayevskaya, Marxism and the Oppression of Women. Toward a Unitary Theory (1983) von Lise Vogel, Women and Socialism. Class, Race, and Capital (2015) von Sharon Smith, Social Reproduction Theory. Remapping Class, Recentring Oppression (2017), herausgegeben von Tithi Battacharya und Brot und Rosen. Geschlecht und Klasse im Kapitalismus (auf Deutsch 2019) von Andrea D’Atri.