analyse & kritik

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|Thema in ak 655: Kosmonismus

Kommies im Kosmos: Weltraumtrotzkismus

Von Nelli Tügel

Posadismus: Trotzkismus from outer space. Collage: Andreas Homann

Die britische Autorin Marina Lewycka schreibt Romane über »die kleinen Leute« und über die britische Linke. Letzteres vor allem in ihrem 2013 erschienenen Buch »Die Werte der modernen Welt unter Berücksichtigung diverser Kleintiere«, in dem es folgende Szene gibt: Die Hauptfigur geht zu einer Demo und trifft da einen alten Mitbewohner aus der Kommune, in der sie einst lebte. Der frühere Weggefährte gehört zu einer Gruppe, die ein Banner trägt, auf dem steht: Posadistische Internationale Sozialistische Solidaritätsfront. Darunter in der einen Ecke Hammer und Sichel, in der anderen: eine fliegende Untertasse.

Da der besagte Roman ohnehin sehr heiter und voll angenehmer Selbstironie ist, könnte man diese Szene für eine kleine, absurde Fantasie der Autorin halten. Und natürlich handelt es sich um Fiktion, allerdings hat sie eine reale Grundlage. Die Posadistische Vierte Internationale gab es – gerüchteweise soll es auch heute in mehreren Ländern noch Anhänger*innen des nach dem argentinischen Trotzkisten Juan Posadas (gestorben 1981) benannten Posadismus geben. Was ebenfalls Fakt ist: Auch die fliegende Untertasse auf dem in Lewyckas Roman erdachten Banner hat einen realen historischen Hintergrund. Die Posadist*innen hingen der Theorie an, dass die Hoffnung auf eine klassenlose Gesellschaft nicht mehr auf Erden, sondern im All zu finden sei. Nur die klassenlose Gesellschaft, so die Argumentation, könne jenen Erfindungsreichtum und jene technische Entwicklung freisetzen, die für die interplanetare Raumfahrt nötig sind. Ergo: Wenn Aliens zur Erde kommen, sind es zwangsläufig kommunistische Aliens, die dann wiederum Verbündete im irdischen Klassenkampf sein können. Und grundsätzlich waren die Posadist*innen überzeugt davon, dass es, wegen seiner Unendlichkeit, irgendwo im All intelligentes Leben geben müsse.

Die am Ende doch sehr wirren Ideen (auch in einen sowjetischen Atomschlag gegen die USA setzte man große Hoffnungen) und der Personenkult, der um Posadas veranstaltet wurde, waren sicherlich auch eine Spiegelung der völligen Marginalisierung des Trotzkismus nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1930er und 1940er Jahren war die gesamte frühere Linke Opposition – von Stalin und Co. als »trotzkistisch« verunglimpft, erst später wurde diese pejorative Fremdbezeichnung zur Selbstbezeichnung – in der Sowjetunion und der Komintern vernichtet worden; Leo Trotzki selbst wurde 1940 in Mexiko ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte politische Ratlosigkeit: James P. Cannon etwa, der Anführer der US-amerikanischen Socialist Workers Party, weigerte sich anzuerkennen, dass der Krieg vorbei ist, weil nicht das geschehen war, was Trotzki Jahre zuvor prognostiziert hatte. 1953 zerstritten sich die Mitglieder der Vierten Internationale vollends, die Anführer (es waren ausschließlich Männer) verschiedener Sektionen überwarfen sich beim Versuch, einen Weg zu finden, wie der Trotzkismus Einfluss gewinnen könnte. Es kam zu einer ersten großen Spaltung der Internationale, ihr sollten viele weitere folgen.

Juan Posadas war da schon seit mehr als zehn Jahren Teil der Vierten Internationale, wiederum knapp zehn Jahre später, 1962, hatte er die Schnauze voll und gründete seine eigene, die Posadistische Internationale. Hoffnungslosigkeit bezüglich der trotzkistischen Parteienbündnisse und eine ordentliche Prise Größenwahn mögen dabei eine Rolle gespielt haben, ebenso wie ein tiefer Pessimismus beim Beschauen der irdischen Welt. Die Theorie von den kommunistischen Außerirdischen war nicht nur eine etwas skurrile Episode, sondern letztlich auch eine im Grunde sehr verzweifelte Ausflucht und Projektion nicht erfüllter Hoffnungen ins Über- und Außerirdische.

Nelli Tügel

ist Redakteurin bei ak.